Alle kleinen Tännlinge im Wald, träumen davon, eines Tages Weihnachtsbäume zu werden. Mit diesem strahlenden, fröhlichen Traumbild vor Augen ertragen die jungen Tannenbäume in aller Geduld den scharfen Biss der Axt und die endlosen Stunden, die sie zusammengezwängt im Güterwagen liegen. Nun werden aber alljährlich im Dezember mehr Bäumchen gefällt, als man für das Weihnachtsfest gebrauchen kann.
Unser Tännling war ein schöner, gutgewachsener junger Bursche, aber für sein Alter zu schnell in die Höhe geschossen. Seine Zweige waren ziemlich sparrig. Wenn man ihn stehen gelassen hätte, wäre er eines Tages ein ungewöhnlich großer Baum geworden; jetzt jedoch war er im ungeschickten Alter und hatte nicht den sanft abnehmenden Kerzenwuchs und das dichte, gleichmäßige Nadelkleid, das die Menschen an ihrem Weihnachtsbaum besonders gern haben. Was aber besonders schlimm war: anstatt, dass er in einer schlanken, richtigen Spitze endigte, war sie oben ein bisschen schief und sogar gegabelt.
„Ich werde prachtvoll aussehen“, dachte der Tannenbaum. „Hoffentlich sind auch Kinder da, die mich bewundern!“
Doch Tag um Tag verstrich; die Tannenbäumchen wurden eines nach dem anderen verkauft, und er begann, sich Sorgen zu machen. Denn jeder, der ihn sah, bedachte ihn mit einem unfreundlichen Wort. „Zu groß“, sagte eine Dame. „Nein“, sagte ein anderer, „der da geht gar nicht, die Zweige sind zu dürftig.“ Dann wurde er einer Frau gezeigt, die einen billigen Baum kaufen wollte. Der Händler reduzierte den Preis unseres Baumes um ein Drittel. Doch selbst sie wollte den Baum nicht haben.
Und dann kam der Heilige Abend. Spät am Abend, als alle Läden schon geschlossen hatten, kam der Händler um aufzuräumen. Die Holzgitter, die zerknickten Stechpalmenzweige, leere Fässchen und unser Tannenbaum mit ein zwei anderen, die nicht verkauft worden waren, wurden allesamt in den Keller geworfen.
Am Tage nach Weihnachten, kam ein Mann und wollte ein paar grüne Zweige, um ein Grab zuzudecken. Der Händler nahm die Axt und packte die Bäumchen, ohne lange zu fackeln. Sie waren schon zu niedergeschlagen, um sich noch große Gedanken zu machen. Zack, Zack, Zack machte die Axt, und die würzig duftenden Zweige wurden fortgetragen. Die kahlen Stämme warf der Händler in einen Winkel…
Darum haben wir dieses Jahr beschlossen, einen Baum zu wählen, der sich von allen anderen Bäumen durch seine Einzigartigkeit unterscheidet. Er hat oben wenige Äste und unten zu viele. Seine Spitze ist schief und der Rest des Baumes entspricht auch nicht der Norm. Wir haben uns gemeinsam für diesen Baum entschieden und den ganz normalen Preis bezahlt, weil der Baum es wert ist! Wir freuen uns, dass dieser besondere ehemalige „Waldbewohner“ mit uns das Weihnachtsfest feiert.
Wer sagt, was schön ist und was nicht? Wer gibt die Vorgabe zu „normal“ und „abnormal“? Sind wir nicht alle besonders und einzigartig? Jedes Lebewesen ist wertvoll so wie es ist. Schluss mit Perfektion, die unter Druck setzt und uns schwächt. Erhöhen wir die Toleranz für uns und für andere…